Erlebnisbericht

GRUND ZUM FEIERN!

Das Schauspiel Leipzig bietet seit inzwischen zehn Jahren für mindestens eine Vorstellung im Monat eine Audiodeskription (kurz: AD) für blinde oder seheingeschränkte Gäste an. Am 17. und 18. November fanden mehrere Veranstaltungen aus Anlass des 10jährigen Jubiläums dieser Angebote statt [1]. Ich habe einige der Veranstaltungen besuchen können und möchte hier – mehr oder doch eher weniger kurz – darüber berichten.

PODIUMSGESPRÄCH

Am 17. November 2023 um 17:00 Uhr fanden sich zahlreiche Interessierte zu einem Podiumsgespräch im Foyer 1 des Schauspielhauses ein. Moderiert wurde das Gespräch von Frau Hannah Reuter (Sprach- und Kulturwissenschaftlerin). Die Gäste auf dem Podium waren:

  • Herr Jürgen Dusel (der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen)
  • Herr Matthias Huber (Regisseur, Dramaturg und Audiodeskriptionsautor)
  • Herr Prof. Dr. Thomas Kahlisch (Direktor des Deutschen Zentrums für barrierefreies Lesen Leipzig)
  • Frau Christin Ihle (Dramaturgin)
  • Frau Renate Lehmann (Audiodeskriptionsautorin)
  • Frau Sabine Meißner (regelmäßige und erfahrene Besucherin der Vorstellungen mit Audiodeskription)
  • Frau Pernille Sonne (Performerin und Audiodeskriptionsautorin)

Durch die tolle Moderation sowie die sachkundigen, erfahrungsreichen und oft auch humorvoll vorgetragenen Beiträge der Gäste konnte man sich auf unterhaltsame und angenehme Weise einen sehr guten Überblick über das Thema Audiodeskription (oder besser: Inklusion allgemein) sowie über die etablierten und geplanten Lösungen dafür am Schauspiel Leipzig verschaffen.

So wurden zunächst gesetzliche bzw. rechtliche Grundlagen bzgl. der Rechte von Menschen mit Behinderungen thematisiert, ehe es dann um die aktuellen sowie zukünftig mögliche Verfahren und Herangehensweisen der AD ging (Beispiel: Nutzen von Systemen der künstlichen Intelligenz). Nachfolgend gab es eine kurze Zusammenfassung der konkreten Arbeitsprozesse beim Erstellen der AD am Schauspiel Leipzig und einen Erfahrungsbericht über die sehr gelungene, zielorientierte und nutzerfreundliche Umsetzung aus der Sicht einer aktiven Nutzerin. Außerdem wurde ein Überblick über und ein Ausblick auf andere, neue Formate der Audiodeskription gegeben, bei denen das Publikum selbst zugleich Bestandteil der AD und der Performance sein könnte.

In all diesen Beiträgen und auch bei den Antworten auf die Fragen der Anwesenden war eine echte Verbundenheit, eine Große Empathie und ein tiefes Verständnis für die speziellen Bedürfnisse und Herausforderungen dieses Themenkomplexes spür- und erlebbar. Es gibt da so viele Details und Feinarbeiten, die zu einer gelungenen Audiodeskription am Schauspiel Leipzig beitragen, dass ich sie an dieser Stelle gar nicht alle aufzählen kann. Dennoch hier mal ein grober Überblick, was ich dazu bisher verstanden habe:

  • Nach Festlegung des Spielplans für eine neue Spielzeit setzt sich ein Team (u.a. bestehend aus Autorinnen/Autoren für die AD incl. mindestens einer blinden Person) zusammen und legt fest, für welche Stücke eine AD erstellt werden soll.
  • Wenn die Dramaturgie und der Ablauf des Stückes feststehen, wird (auch anhand des Drehbuches) ein Skript für die Audiodeskription erstellt. (Bspw. ist es notwendig, eine Beschreibung nur dann zu sprechen, wenn im Stück gerade _nicht_ gesprochen wird…)
  • Dieses Skript wird dann noch einmal von einem blinden Teammitglied kontrolliert und ggf. angepasst, um eine effektive und möglichst hilfreiche Beschreibung der Abläufe auf der Bühne zu gewährleisten.
  • Während der Proben wird zusätzlich eine Audioeinführung in das Stück erstellt. Diese enthält einen Überblick über das Stück, aber auch schon Ausschnitte der Sprechrollen, was eine leichtere Zuordnung der Stimmen der Schauspieler/Schauspielerinnen zu den Rollen ermöglicht. (Diese Audioeinführung wird nicht nur später vor der Aufführung über die AD-Empfänger abgespielt, sondern kann sogar schon im Vorfeld auf der Webseite [2] abgerufen werden, was dem potentiellen Publikum bei der Auswahl der Stücke hilft.)
  • Vor der jeweiligen Vorstellung hat man dann die Möglichkeit, bei einer
    (geführten) Bühnenbegehung die Aufbauten, Kostüme, den Ablauf u.s.w. zu erkunden.
  • Im Anschluss daran werden dann die Empfangsgeräte ausgegeben, erklärt und getestet. (Das hat bei den Stücken, die ich inzwischen besucht habe, auch immer hervorragend und zuverlässig funktioniert.)
  • Während der Vorstellung wird dann von der jeweiligen Sprecherin bzw.
    vom jeweiligen Sprecher die Live-Audiodeskription gesprochen und auf die Empfänger übertragen. (Dabei habe ich bisher immer die Erfahrung gemacht, dass ich durch diese Beschreibung – und mit Kenntnis der Bühne sowie der wichtigsten Stimmen – den Stücken ausgesprochen gut folgen und die Vorstellungen genießen konnte.)

In dem o.g. Podiumsgespräch habe ich nun erstmals so richtig verstanden, was alles zu diesem Gelingen und den positiven Erfahrungen beiträgt! Für mich hätte das Gespräch auch gern noch länger dauern können – da gäbe es sicher noch vieles zu erfahren, zu erklären und zu verstehen. Ich würde mich jedenfalls auf eine Fortsetzung freuen!

Die aktuellsten Informationen und Termine für Stücke mit Audiodeskription findet man, wie oben erwähnt, auf [2]. Eine allgemeinere Übersicht zum Thema „Inklusion am Schauspiel Leipzig“
gibt es auf [3].

PRAXIS: „CABARET“ MIT AUDIODESKRIPTION

Im Anschluss an das Podiumsgespräch konnte man dann am praktischen Beispiel erleben, was eine Vorstellung mit AD am Schauspiel Leipzig auszeichnet. Und zwar anhand des Musicals „Cabaret“ [4].

Zur Tastführung/Bühnenbegehung ab 18:10 Uhr hatten sich diesmal so viele Interessierte eingefunden, dass wir in zwei Gruppen zu je 20 Personen aufgeteilt wurden – eine geführt von Frau Maila Giesder-Pempelforth, die andere von Herrn Matthias Huber. Trotz des großen Andrangs konnte ich mir – nicht zuletzt aufgrund der umsichtigen und fürsorglichen Führung – einen guten Überblock über die Kulissen und die Kostüme verschaffen. Ein herzliches Dankeschön an die beiden „Guides“ sowie das gesamte Team der Bühnentechnik, die dies ermöglicht haben! Die Ausgabe und Inbetriebnahme der Empfänger (diesmal waren alle 45 im Einsatz!) hat wieder reibungslos geklappt, sodass ich ab 19:00 Uhr der Audioeinführung lauschen konnte.

Das Stück begann dann pünktlich um 19:30 Uhr, die Audiodeskription entsprechend kurz vorher.
Die AD wurde dieses Mal von Frau Beatrix Hermens gesprochen. Wohl aufgrund meiner neu erworbenen Kenntnisse über die wichtigsten Punkte bei einer AD ist mir dabei dann besonders aufgefallen, wie großartig diese Beschreibung gewesen ist! Nicht nur die wunderbar einfühlsamen Erklärungen, sondern auch das perfekte Timing der AD haben mich total begeistert!

Insgesamt möchte ich noch einmal sagen, welch großen Respekt ich vor allen an der Audiodeskription am Schauspiel Leipzig Beteiligten habe! Daher will ich hier mal die wichtigsten Protagonisten namentlich erwähnen: Matthias Döpke [5], Florian Eib [6], Maila Giesder-Pempelforth [7], Beatrix Hermens [8], Matthias Huber [9], Ina Klose [10], Renate Lehmann [11], Pernille Sonne [12]. Und natürlich gehören dazu noch viele andere Menschen, die ich hier nicht aufzählen konnte (beim Ticket-Verkauf, bei der Erstellung und Pflege der Webseiten, die Schauspieler und Schauspielerinnen, die Verantwortlichen für die Technik etc.). Durch das gemeinsame Engagement all dieser Leute wird die AD am Schauspiel Leipzig erst möglich, erlebbar und zum hilfreichen Genuss!

DER FACHTAG

Ich hatte eher zufällig vom Fachtag zum Thema „Audiodeskription im Theater“ am 18. November 2023 erfahren und mich spontan entschlossen, daran teilzunehmen.

Zu diesem Fachtag fanden sich 35(!) Menschen ein. Alle – bis auf mich – „vom Fach“, also von Projekten, die an diesem Thema arbeiten. Es waren Leute aus ganz Deutschland (Berlin, Dresden, Braunschweig, Freiburg(?), natürlich aus Leipzig…) und sogar aus den Niederlanden vertreten, um sich über Erfahrungen, Schwierigkeiten, Lösungsansätze u.v.a.m. auszutauschen. Den ganzen Tag über gab es einen regen Erfahrungsaustausch u.a. zu den Komplexen „Hörbeschreibung und diversitätssensible Sprache“, „Qualitätsstandards“ und „Vernetzung“. Beim Zuhören und Mitreden ist mir extrem deutlich aufgefallen, mit wieviel Liebe, Sachkenntnis, Genauigkeit und Orientierung am Wesentlichen an dem Thema „Audiodeskription im Theater“ gearbeitet wird!

Es ist sehr beeindruckend, welche Anforderungen die Beteiligten an sich und die Qualität ihrer Arbeit stellen, wie viele Gedanken sie sich machen, wieviel Energie, Fleiß und nicht zuletzt Zeit sie investieren – und dass sie dabei doch stets v.a. uns Betroffene im Block haben! Einfach beeindruckend!

(Die Vorstellung von „Das kalte Herz“ [13] zum Abschluss des Fachtages mit Tastführung, Audioeinführung und der – wie ich mir sicher bin – ebenfalls großartigen Audiodeskription von Florian Eib konnte ich dann (wegen Müdigkeit) leider nicht mehr besuchen, werde dies aber zu einem späteren Termin nachholen!

WICHTIG: INKLUSIONSPATEN

Beim o.g. Podiumsgespräch wurde auf ein Projekt hingewiesen, auf welches auch ich in diesem Rahmen gern noch einmal aufmerksam machen möchte: Die „Inklusionspaten“ [14]. Dieses Projekt vernetzt einen Pool von sehenden ehrenamtlichen Freiwilligen mit blinden oder seheingeschränkten Personen, um diesen durch eine Begleitung den Zugang zu Kulturveranstaltungen zu erleichtern. Wer also als blinder oder sehbehinderter Mensch eine Begleitperson für eine Kulturveranstaltung, für eine Freizeitaktivität oder auch im Alltag sucht, findet auf [15] die notwendigen Informationen. Wer selbst gern ehrenamtlich bei diesem Projekt helfen, es anderweitig unterstützen oder andere Leute darauf aufmerksam machen möchte, sei auf [16] verwiesen. Und wenn jemand selbst eine geeignete Veranstaltung plant oder durchführt, oder von einer solchen Veranstaltung weiss, kann sich auf [17] genauer informieren. Dieses Projekt wird inzwischen von Frau Susann Hanske vom Blinden- und Sehbehindertendienst der Diakonie Leipzig [18] organisiert und betreut. Vielen Dank für diese Arbeit!

UNTERSTÜTZUNG DER UNTERSTÜTZER

Häufig habe (sicher nicht nur) ich (nicht nur mich) gefragt, was denn wir Betroffene tun können, um alle diese so wichtigen und sinnvollen Angebote zu unterstützen. Wie können wir also helfen, sie zu erhalten und zu fördern?

Die Antworten, die ich am häufigsten auf diese Frage bekommen habe, waren:

  • Bitte die Angebote nutzen!
  • Gern Feedback geben (sowohl Kritik, Wünsche und Verbesserungsvorschläge, aber gern auch positive Rückmeldungen)!
  • Die Angebote bekannt machen und weiter empfehlen!

Eine weitere Möglichkeit, sich für die wertvollen Angebote – die oft ehrenamtlich, und immer mit viel Einsatz, Verständnis und empathischer Hilfsbereitschaft gemacht und aufrecht erhalten werden – sehe ich noch: Spenden! (Auch wenn dies bisher, meiner Erinnerung nach, niemand von den Beteiligten so ausdrücklich erwähnt hat, denke ich doch, dass man auch durch eine finanzielle Unterstützung viel Gutes bewirken kann.)

Daher hier zwei Hinweise:

  • Wer die vielfältigen Angebote zum Thema Inklusion (und damit auch die
    Audiodeskription) am Schauspiel Leipzig unterstützen möchte, findet auf [19] (unten) die relevanten Daten.
  • Hinweise für Spenden an den Blinden- und Sehbehindertendienst der Diakonie Leipzig (der neben dem o.g. Projekt der Inklusionspaten noch viele weitere Möglichkeiten der Unterstützung für uns Betroffene bietet) finden sich auf [18] (ganz unten!).

(geschrieben von Heiko Degenhardt)